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Der Dia-Abend als Medium der Horizontbegrenzung



Es ist bedauerlich, dass der Deutsche Dia-Abend ausgestorben ist. Seine Tradition wird in Privat- und Geschäftsleben nur notdürftig durch nichtssagende Power-Point-Präsentationen ersetzt werden, solange jedenfalls, bis die Computer wieder abgeschafft werden, was hoffentlich bald der Fall sein wird.

Die Galerie für Kulturkommunikation erhält  den alten Volks-Brauch des Dia-Abends am Leben, der ansonsten ähnlich wie das Aus-Dem-Radio-Aufnehmen in Vergessenheit zu geraten droht.

Das hektische Umherzeigen von sterilen, toten Bildern digitaler Machart ist kein Ersatz dafür, der digitale Bilderrahmen ein rohes, kulturloses Stück Plaste, kein Ersatz für eine vergilbte Leinwand und das malmende Krachen von Salzgebäck zwischen Kiefern, die vor Langeweile knirschen.

Der Dia-Abend ist meist verknüpft mit Personen, die wenig sympathisch sind: Lehrer fallen einem bei Dia-Abenden sofort ein. Freunde, die sich nach mehreren solcher Abende in ehemalige Freunde oder gar Feinde verwandelten. Die Teilnahme an einem Dia-Abend wurde meist, wie die Verkaufsveranstaltungen von Rheumadecken, erkauft; und zwar auf die gleiche Weise: mit einem Abendessen, welches als wohlschmeckend und reichlich angekündigt wird, in Wahrheit aber so schmeckt wie die besagten Rheumadecken.

Charakteristisch für den Dia-Abend ist, dass man praktisch nichts von dem, weshalb ein Foto gemacht worden ist, auf diesem wiederfindet. So sind beispielsweise Köpfe abgeschnitten, Leute zu erkennen, die man gar nicht photographieren wollte und die niemand in der Runde der Zuschauer kennt. Es gibt lustige Bilder, an denen nichts lustig ist, das Wichtigste ist oftmals gar nicht mehr mit auf das Bild gekommen, auch wenn die Kamera schräg gehalten wurde, um die größere Diagonale auszunutzen. Oder der Film war voll und das letzte Bild ist von einer bitterbösen Entwicklungsanstalt abgeschnitten worden. Der sparsame Diaphotograph weist dann darauf hin, dass er 39 Bilder auf seinem Film hatte und sieht partout nicht ein, dass er nur achtunddreissigeinhalb Bilder bekommt, wenn er sechsundreissig Bilder bezahlt hat.

In der Regel werden nach den Dias vom letzten Urlaub noch die der davorliegenden Jahre gezeigt; und die dargestellten Personen sind, weil es ja Urlaub war, noch peinlicher als im natürlichen Leben. Im Urlaub erlaubt man sich manches, was man sonst niemals täte.

Manche dieser Abende werden dann noch mit Dias aus dem Urlaub von Tante Grete oder Oma und Opa angereichert und von Bildern von deren Grabstätten eingerahmt, und ergänzt durch deren Kinderbilder. Die Vergänglichkeit der digitalen Fotografie erscheint einem in solchen Momenten dann wie eine Verlockung: nach 10 Jahren sind die Dateien verreckt und es existiert nur eine vage Erinnerung daran, dass es auch früher schon einmal so etwas wie Urlaub gegeben haben soll. Um die Stimmung aufzuhellen, wird bei Dia-Abenden Wein, Bier und Schnaps in großer Menge gereicht. Narkolepsie ist die sichere Folge, wer allerdings schnarcht, wird nie mehr eingeladen. Eine Abart des Dia-Abends ist die Dia-Nacht. Eine besonders eindrucksvolle Dia-Nacht hab ich bei einer Horde fundamentalistischer Christen zu sehen bekommen, die nach Hongkong gereist waren, um die Stadt zu christianisieren. Nebenher wurden an die 3000 Dias gemacht: Hongkong bei Nacht, die Nacht effektvoll durchgezoomt. Viele hundert Varianten, und eine Diskussion voller echter tiefer Gefühle, welche Variante die künstlerisch anspruchsvollste sei. Es klang, als wäre man in einem sogenannten Chanson von Hermann van Veen eingesunken und dabei, darin zu ertrinken vor Tiefsinn.

Wer anmerkt, dass die wenigsten Fehler künstlerisch wirken, hat seinen Anspruch auf die Fortsetzung der Dia-Nacht verspielt. Die wenigsten Dia-Abende sind kürzer als 1500 Bilder; was kürzer ist, wird meist als kurze Präsentation und Vorauswahl ohne Schnittchen serviert. Wer anmerkt, dass durchgezoomte Bilder einfach nur unscharf seien, kann mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass ihm zum Vergleich die eigentlich ja aussortierten Dias gezeigt werden, damit einem der Unterschied deutlich werde.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Dia-Abenden aus dem Wege zu gehen: folgen Sie grundsätzlich keinen Einladungen zum Abendessen, füllen Sie Ihren Terminkalender mit Internetbekanntschaften, und nehmen Sie Urlaub und machen Sie selbst dort so viele Dias wie möglich, um nach dem Prinzip einer Strategie der Abschreckung selbst gerüstet zu sein und genügend Munition zu haben, um mit Gegeneinladungen drohen zu können. Bemerkenswerterweise interessieren sich die meisten Leute nur für ihre eigenen Dias, gehen aber davon aus, dass sich alle anderen ebenfalls dafür interessieren müssten.


Unsere Regierung schreit nach positiven Meldungen. Die sind aber schwer zu erzeugen, weil das Leben in Deutschland nicht mehr attraktiv ist. Deshalb reisen die Deutschen soviel ins Ausland, sie fühlen sich fremd im eigenen Land und unterliegen dem Trugschluß, anderswo wäre es besser. Das deutsche Gemüt fotografiert sich aber sein Leben schön – es ist kaum zu ahnen, wieviele deutsche Hirsche in deutschen Fotoalben und an Dialeinwänden röhren. Seit es digitale Fotografie gibt – Komm Spielen! - gibt es sogar mehr Hirsche, als in der Wirklichkeit. Das ist ein Fortschritt. Bei digitalen Dia-Abenden muss man sich dann ausführlich anschauen, wie der Gastgeber den Hirsch, der mit dem 40fach-Zoom aufgenommen klein ganz hinten in der Ecke zu sehen ist  - ist es ein Pixel, ist es ein Hirsch? - das unschuldige Tier vervielfacht dank Bildbearbeitungssoftware und somit selbst zum tollen Hirschen wird. Tagsüber kümmert er ansonsten hinter einem Schalter der Kreissparkasse.

Auf den Urlaubsfotos der Deutschen sitzen merkwürdige Gestalten an merkwürdigen Gestaden herum. Sie umarmen sich, aber sind einander nicht verbunden; es sind eheliche Umarmungen mit dicken Hinterteilen und leeren Gesichtern. Kein Sonnenuntergang wird verschont, ununterscheidbar durch die Blendenabbildungen der schäbigen Super-Zoom-Objektive. Der Brennweitenbereich muss riesig sein und ist ein Prestigefaktor. Wenn früher die Herren der Reise auf den Camping-Toiletten scheu am Gegenüber hinunterblickten um zu schauen, wer den längeren hat, so flüstert man sich heute in der Schlange vor dem Touristen-Kiosk, wo es Speicherkarten zu kaufen gibt, stolz, und unüberhörbar zu: "ich hab aber ein dreissigfach Zoom". Die Prahlerei nützt aber nichts, denn die mit diesem Scherben gemachten Fotos sind dreissigmal so dämlich wie eines, welches mit einer klassischen Festbrennweite gemacht wurden. Sie sind aber trotz Bildstabilisator unscharf und im übrigen so banal, daß man bei der Betrachtung einschlafen möchte. Kein Antilopenhintern, der nicht herangezoomt wird, der eigenen Gattin gehört und neben dem Wohnmobil zu sehen ist und auf den Chip gebannt wird. Kein Fährschiff ist langweilig genug, um nicht im Hafen abgelichtet zu werden als Beweis dafür, daß das eigene Wohnmobil fast genauso groß ist wie die "Nils Holgersson". Eine Zeitlang waren sogar Dia-Abende modern, die aus abwechselnden Bildern von Hinterteilen und Standplätzen von Wohnmobilen ("Womo") geschmackvoll montiert waren.

Die Fotos der Hintern sind sich so ähnlich, gleich ob sie in Oberstdorf oder Malecesine aufgenommen wurden. Oder in Amsterdam. Wohin die Deutschen auch fahren: sie fotografieren irgendwie immer nur Hinterteile, die ihren Politikern ähnlich sehen. Oder die Metallwände von irgendwelchen Fährschiffen. Die sind sich so ähnlich, daß man bei einem dieser Dia-Abende schon froh ist, das blau gemalte Hinterteil eines Fährschiffes zu finden, welches man selbst irgendwann in Travemünde, Lübeck oder sonst einer scheußlichen deutschen Kleinstadt wenden gesehen hat.

Urlaub, Hauptsache Fotos gemacht, die zeigen, wo man war. Gruselige Gotteshäuser aller marktgängigen Gottheiten. Jede Imbissbude auf dem Wanderweg des St. Jacob, dem Erfinder der gleichnamigen Muschel, wird milliardenmale dokumentiert, seit der gruselige Hape Kerkeling seinen Egotrip auf den paar Meilen steinigen Gerölls öffentlich gemacht hat. Warum eigentlich? Es gibt keinen genetischen Zwang, sich so doof zu verhalten wie ein drittklassiger Prominenter, aber alle Leute tun so, als gäbe es ihn, den Zwang. Schalte Deinen Fernseher ein, und Du siehst einen, egal, wohin Du zappst. Die Spanne an Geist ist minimal, die Du dort finden kannst. Zwischen Anne Will und Verkauf von Sparschwämmen liegen nur Millimeter auf Deiner Fernbedienung. Die haben die gleiche ästhetische Qualität wie ein schöner Wasserfall mit einer Betonbrücke darüber. Bau-Ingenieure sind zweifellos die geistesgestörtesten unter allen Akademikern. Ihre Egebnisse sprechen für sich und die Forderung, den zweiten Bildungsweg für Bauhelfer abzuschaffen. 

Tourismusfotografie dokumentiert einen grausamen Weg, die Schöpfung zu ruinieren: man zerstört die eigenen Lebenswirklichkeiten so sehr, daß sie unerträglich werden und wendet dann erhebliche Kosten dafür auf, die Umgebung der Menschen in anderen Ländern auch zu ruinieren, um dort den eigenen Klischees von Kultur nachgehen zu können. Besonders beliebt sind dabei Heilige Stätten, die durch den Kommerz vollkommen ruiniert werden. Die Pyramide von Gizeh ist seit dem Tourismus-Hype ungefähr so heilig wie eine Pommes-Frites-Bude in Dudenbostel. Müllhalden in Teneriffa. Fette Blondinen in Antalya. Aber sie wird öfter fotografiert. Irgendwelche Ruinen in Italien werden als Altertümer herausgeputzt und mit neuem Gestühl versehen, damit die Touristen für 20 Euro pro Stunde alte Luft atmen können. Alles wird fotografiert. Massenweise Bilder von verstörten Kindern, alle in Weihnachtsmännerkostümen verkleidet; einfach grauenvoll. Und Fotos vom Brunnen im Garten, der gerade aus dem Baumarkt gekauft wurde, und Fotos vom Liebhaber, den sich die Fotografin aus dem Internet heruntergeladen hatte.... Wenn irgendwo ein Beton-Hotel in der Landschaft steht, dann wird es fotografiert. Ach wie romantisch ist es doch, ganz wie im Schwarzwald. Die Schwarzwalduhren kommen heute aus Taiwan und die Bauhelfer aus Rumänien; beides auch schöne Feriengebiete zum Fotografieren. Wenn irgendwelche dicken Frauen auf der Straße stehen, dann werden sie fotografiert. Sie sind total exotisch. In Deutschland gibt es keine dicken Frauen. Aber alle deutschen Touristinnen plärren in Mobiltelefone. Wenn ein Friedhof fotografiert werden soll, dann betritt man ihn nicht. Er wird in unscharfen Bildern von der Autokarte abfotografiert. Alles digital.

Die Deutschen sind im Schnitt ein gruselig dummes Volk. Am leichtesten kann man das daran erkennen, welche Politiker dieses dumme Volk regieren dürfen, denn sie sind ja die auserwählten Volksvertreter. Was soll man über ein Volk sagen, welches solche Politiker wählt? Die Deutschen stecken voller Minderwertigkeitskomplexe, seit zwei autoritäre Regimes ihre jüngere Geschichte geprägt haben. Diese Minderwertigkeitsgefühle sorgen dafür, daß die Deutschen so gerne in Urlaub fahren, in Länder, die sie früher unterdrückt haben. Oder gerne zum Griechen gehen um dort fettes versalzenes Fleisch zu fressen. Aber einem Griechen einen Arbeitsplatz geben? Stattdessen laufen schmerbäuchige Gestalten auf der Akropolis in Scharen herum und halten dabei jammernde Digitalkameras vor die Gesichter und sprechen im Chor "Oh wie schön. Ach die Kultur." Von der Kultur sehen sie dabei nichts, weil es auf den Displays ihrer kleinen Plastikschachteln nichts zu erkennen gibt. Sie halten die kleinen Mistdinger mit zusammengekniffenen Augen und weit gestreckten dicken Ärmchen gegen die wehrlosen Motive und drücken ab, nur um die damit entstandenen Bilder sofort wieder zu löschen. Auf solchen Reisen ist der hohe Stromverbrauch der kleinen Mistdinger das Hauptgesprächsthema. Schade, daß Goethe auf seinen Reiseberichten noch keine Digitalkameratouristen sehen konnte; seine Bemerkungen dazu wären bemerkenswert gewesen.

Das Schönste an der Digitalfotografie ist das Löschen. Die kleinen Mistdinger schaffen aber etwas, was neu ist: sie bilden Dinge völlig anders ab, als sie tatsächlich gewesen sind. Wir stehen vor einer neblichten Kulisse Venedigs. Der Pauschalurlaub war billig, weil in der Vorsaison (merkwürdiges Wort), und das Wetter ist schlecht. Auf Knopfdruck wird aus dem heiteren Mausgrau vor unseren Augen eine sommerliche Kulisse mit dunkelblauem Himmel. Wenn ich etwas hasse, dann ist es Verlogenheit. Ich verweigere mich der digitalen Fotografie aus gutem Grund.

Und die Schmerbäuche vor der Akropolis knipsen, während sie in der Warteschlange vor irgend einem Heiligtum stehen, welches noch mal ein Extra-Eintrittsgeld kostet, jeden griechischen Schnurrbartträger, der dort Ansichtskarten feilbietet oder eine Trommel spielt und raunen sich gegenseitig ein verständnisvolles "Oh schau mal so ein edler Wilder" zu. Das sind Touristen. Wieviele heilige Stätten durch Beton ruiniert wurden... Wenn irgendwo ein Heiliges oder wenigstens altes Gemäuer herumsteht, wird es gnadenlos fotografiert; gleichgültig, wieviele Stromleitungen darüber hängen und den Anblick ruinieren. Als "alt" gilt auch schon mal ein Pommes-Frites-Wagen, über dem ungelenk "Antik" geschrieben steht und dessen Pommes auch so schmecken, als wären sie sehr alt. Wenn ein Kaktus neben dem Pommes-Wagen steht, ist es extra-exotisch und viele weitere Bilder wert. Auch Autostraßen werden gerne fotografiert, wenn mal ein See am Rande liegt, wird er durch die Scheibe fotografiert - man will ja keine Zeit verlieren.

Sehr romantisch sind auch Fernsehantennen in fremden Städten; vor allem mit Sonnenuntergang dahinter. Oder Szenen in überfüllten Prollkneipen in Napoli, wo man mal schnell einen echtauthentischen Cappuchino trinken wollte, der ganz wie zu Hause in Dudenbostel aus der Nescafe-Tüte stammt, aber 10 Euro kostet, weil es in Italien ist. Jeder Kaktus am Wegesrand wird fotografiert. Wenn er neben einem Betonklotz steht, dann erst recht. Er ist dann Symbol für die unverfälschte Natur im Ausland. Wenn Tiere auf den Bildern zu sehen sind, dann sind sie in Gehegen fotografiert. Am liebsten mit dem eigenen Hund am Bildesrand, wildes Tier an unserer Seite. Wenn sich am Wegesrand irgendeine Heuschrecke findet, die sich fotografieren läßt, dann war unser Fotourlaub sonder-exotisch. Gerne werden gekaufte Dias unter die eigenen gemischt: "Ach ja, das war echt ein schönes Museum. So voll mit lauter alten Sachen und so. Da hattn wir leida keine Zseit zsu weil wir irgendwie mit dem Womo sowas machen mußten weiss auch nich so genau wass" . Gerne werden auch namenlose Wolken fotografiert. Auf den Bildern ist dann nur ein schamhaftes Nichts zu erkennen. Aber fotografiert werden mußte es wohl zwanghaft.

Weil die Warteschlange vor dem Heiligtum so lang ist, daß die Touristen nicht mehr vor Sonnenuntergang vorgelassen werden können, um nochmals ein Extraeintrittsgeld zu zahlen um ein paar Kunststeine aus Plaste, die die echten Heiligtümer längst ersetzen, zu betrachten, fotografieren sie dann wie narkotisiert die Dunkelheit. Schwarze Bilder, mit Datumseinbelichtung. Das soll Zivilisation sein? Das ist Verblödung ohne Ende. Was Schwärze ist, werden diese Touristen einst in ihrem Grab erleben, ohne Datumseinbelichtung. Ewigkeit ist nicht datierbar. Man kann schwarze Filmstücke aber immerhin noch sehr profitabel verkaufen. Ich hab einmal einen Filmanschnitt bei ebay für 9 Euro verkaufen können, einfach, indem ich "35mm cinefilm, totally black" inseriert hatte.

Es gibt immer wieder die Frage: Weshalb soll ich photographieren? Die Antwort ist schwer zu geben.  Die Anlässe zum Photographieren sind wichtig und nichtig; eminent und trivial wie das eigene Leben.Sehr schön sind beispielsweise diese Nachtaufnahmen, auf denen gar nichts weiter zu sehen ist als die Datumseinbelichtung: 12:10:2007 23:26:34. Desgleichen gibt es ungeheure Massen von Fotos, auf denen amorphe Hinterteile auf Bahnhöfen zu sehen sind; es ist nicht zu unterscheiden, ob sie Fußballvereinen, Gesangvereinen, Frauenrechtlerinnen oder Antilopen oder sonstigen Zoo-Tieren gehören. Und auf allen sind Datumseinbelichtungen zu erkennen. Manche Gestalten erscheinen unwirklich und gespenstisch, wenn sie am Familienfeiertisch sitzen und ihnen aus irgendeinem Körperteil das Datum hervorleuchtet; in schäbigen Digitalzeichen, geformt von einem billigsten chiplein, welches schon in einem halben Jahr veraltet. Wenn ein dickbäuchiger Esel auf dem Bild zu sehen ist, dann ist es schon ein gutes Bild; so wie ein Steinstrand halt ein Schönstrand wird, einfach, weil er mit einer digitalen Lügenmaschine fotografiert ist.Diese Art von Fotografie sorgt dafür, daß die Freiheitsstatue genauso aussieht wie eine Hamburger Hafennutte, und ein Parkplatz in Wanne-Eickel genauso wie der Parkplatz vor der Akropolis. Die alten Griechen hatten einfach kein ästhetisches Gefühl für die Gestaltung von Parkplätzen, während Wanne-Eickel aus nichts anderem besteht. Warum fotografiert irgendwer so etwas? Und wer schaut es sich an? Trostlos verregnete Tage in Rom. In Torrent. Sinnlose Urlaube, teuer bezahlt und verlogen.

Warum fotografiert man Lüge? Die Antwort ist leicht: es ist schön, daß eigene Leben zu dokumentieren. Photographieren ermöglicht es, zu zeigen, was man als schön oder häßlich empfunden hat; oder als wichtig. Was man nicht als wichtig empfunden hat, läßt sich durch Photographieren weniger gut zeigen. Der Umkehrschluß, daß alles, was man nicht photographiert hat, nicht wichtig sei.

Die Photographie hat ein Gegen-Bild im Fernsehen. Fernsehen ist auf schnellen Wandel aus. Und: Fernsehen ist im Gegensatz zur Photographie ein Herrschaftsmedium. Fernsehen ist Staatsmedium. Die Fernsehpflicht wird durch eine stasiartig organisierte Institution überprüft und abkassiert. Wer nicht fernsieht, ist verdächtig.

Wer photographiert, ist frei? Wie anders als die digitale ist die analoge Photographie. Man kann sich heute noch Diasammlungen anschauen, die in den fünfziger Jahren aufgenommen wurden. Ohne technische Hilfsmittel. Diese Sammlungen sind ein Zeugnis gelebter Leben. Oft enthalten sie Unmengen von Photographien von fressenden Dackeln. Fressenden Katzen. Fressenden Dackeln nochmals. Und kotende Hunde sind in solchen Sammlungen oft zu sehen. Weshalb eigentlich soviele kotende Hunde? Nun, kotende Hunde, vulgo von Hundefeinden wie mir „Scheißköter“ genannt, sind lohnende Motive, weil sie Statik und Bewegung in sich vereinen. Und sie sind eine prima Alternative zu den Unmengen unterbelichteter dicker Menschen, die vor irgendwelchen Denkmälern stehen und sich dem Gedankmalten nahe fühlen. Weshalb photographieren so viele Menschen Enten, Enten und nochmals Enten?

Oder macht reihenweise Bilder von merkwürdig aussehenden Leuten in Campingbussen? Unscharfe Bilder von Blüten serienweise? Und photographiert dann nochmals Enten? Und Schwäne? Und unscharfe Hintern schon wieder, dankenswerterweise auch unterbelichtet? Man ist versucht, zum Weinglas zu greifen statt zur Lupe, wenn es gilt, solche Bilder zu betrachten. Wunderbar sind die Reisephotographien, auf denen irgendjemand einem antiken Gemäuer im Wege steht und seine Schulter vor das trutzigste Mauerwerk hält, auf daß es als Eigentum des Photographierten für alle Zeiten gebrandmarkt sei. Und Amateurphotographien werfen soviele Fragen auf: weshalb lassen sich Schmerbäuche mit ihren Campingbussen vor ihren Satellitenantennen photographieren?

Rund wie sie sind, sind sie ja keine echten Phallussymbole, sondern eher Schmerbauchsymbole. Früher hätte niemand gedacht, daß es so etwas jemals geben werde: Schmerbauchsymbole. Aber es gibt sie auf jedem Diaabend. Warum photographiert jemand öde Betonplatten türkischer Flughäfen? Oder warum fährt man in Urlaub und dokumentiert dort akribisch auf hunderten von Dias, wie man im Wald die Anmutungsqualitäten der Natur verschandelt, indem man Lampions in den Tann hängt, auf denen „Jesus liebt Dich“ zu lesen steht? Warum fotografiert man die unglaubliche Tristesse von Reihenhaussiedlungen, mit einem Schild im Garten „Silberborn im Solling – Höhenluftkurort – bitte langsam fahren.“

Warum fressen und telefonieren die Leute unentwegt in der Öffentlichkeit und fotografieren sich dabei? Jedes für sich genommen wäre peinlich genug. Warum photographieren Menschen öde deutsche Parkplätze mit Papierkörben und einigen sauren Tannenbäumen im Hintergrund als Idylle? Weil Deutschland kaputt ist.

Wie lohnend sind die Familienfeiern zu sehen in all den analogen Photoalben. Sie sind noch zu betrachten, wenn all die Ergebnisse der Digital-Diktatur längst nicht mehr lesbar sind, weil irgend ein weltweiter Computer-Kaufmann beschlossen hat, daß wir unsere vertrauten Datei-Formate nicht mehr lesen dürfen sollen, sondern etwas Neues kaufen aus seiner Monopolfirma. Im Digitalzeitalter entscheiden nicht mehr wir, wie lange wir auf unsere Daten zurückgreifen können, sondern multinationale Konzerne.

Es lebe die analoge Photographie.

Sie ist schwerfällig. Sie ist teuer. Sie verlangt, daß wir uns überlegen, was wir festhalten möchten für die Gegenwart. Für die Zukunft. Die digitale Fotografie nimmt ihre Sklaven in die Pflicht. Sie müssen sich schon heute verpflichten, in Zukunft Dienste zu leisten: sie müssen ihre Bilder im Blick behalten. Sie müssen sie auf neue Dateiformate umkopieren. Wenn sie den richtigen Zeitpunkt dafür verpassen, sind all ihre Bilderinnerungen für immer dahin.

Wer sich die Dias anderer Menschen anschaut, ist bald am Rande seiner Kräfte angelangt: wenn der Fotograf nach Frankreich fährt, fotografiert er sich und seine dicke Frau mit dem Selbstauslöser vor einer deutschen Bierstube. Wenn er eine romantische Altstadt fotografiert, dann wartet er so lange, bis irgendwelche Passanten quer durch das Bild trampeln.Wenn er ein Schloß fotografiert, dann wird es solange kräftig unterbelichtet, bis es romantisch aussieht. Wenn auf Reisen fotografiert wird, dann besonders gerne aus Bussen, bei denen künstlerisch-unscharfe Eindrücke den Betrachter fragen lassen, was denn eigentlich fotografiert worden sei. Wenn er eine Kirche fotografiert, dann garantiert in dem Augenblick, in dem möglichst viele, möglichst hässliche Menschen vor dem Marienbildchen stehen, dessen Besuch der Höhepunkt der ganzen Reise war. Wenn der Fotograf digital ist, lebt er mit der Ungewißheit, ob er auf seiner Speicherkarte überhaupt etwas finden wird, wenn er sie zu Rossmann trägt und dort ausdrucken lassen möchte. Digitaltechnik ist aufregend. Wie oft kam es schon vor, daß man auf dem albnerne Mäusekino seiner Digital-Schachtel etwas mühselig erkennen konnte, was niemals mehr aus der Kamera befreit werden konnte.

Foto-Tip Weitwinkel: Da geht mehr von der Liebsten auf das Bild!

Was zweifellos wahr ist. Aber kein Grund sein sollte, bis auf 20cm an die Angebete heranzugehen und sie so zu fotografieren, daß Loriot stolz auf eine solche Knollennase ist, wie sie uns in Millionen privater Dia-Abende entgegenschallt. Viele der Dias scheinen in Behindertenwohnheimen aufgenommen worden zu sein, weil Arme, Beine oder Köpfe der Dargestellten fehlen, oder, so sie denn aufgenommen wurden, doch sehr debil wirken. Armes Deutschland. Jedes Land ist so, wie seine Politiker es gestalten, wenn die von diesen mißbrauchte Bevölkerung es ihnen gestattet.

Prominent sind Automobile im Bild. Man weiß oft gar nicht, ob der mitfotografierte Macho das Hauptmotiv ist, oder die vergoldete Auspuffaufbohrung. Irgendwie ist auf jedem deutschen Dia ein Auto mit drauf, selbst wenn ein hochromantischer Geranienstrauss auf einer bayerischen Alm fotografiert wird, glänzt ganz am Bildrand ein Golfheck. Wenn eine Frau mit auf dem Bild ist, hat sie die Augen zugekniffen.Oder hält die Hand in den Schritt. Wenn Deutsche sich gegenseitig fotografieren, wie sie ausländische Städte besatzen, dann haben sie die Arme streng verschränkt. Und ihr Auto steht breitärschig vor irgend einer Kirche, vor allem wenn es ein Audibenzvolkswagen ist. Und das Hinterteil des Autos wird fotografiert, an dem stolz ein Fischlein prangt und ein Aufkleber: "Kevin an Bord".

Zur Erholung werden Vögel fotografiert. Vorzugsweise Störche. Oder Enten. Oder Schwäne. Oder Gänse. Viele viele Gänse. Beliebt sind Fotos aus fahrenden Automobilen, die zeigen, wie tollkühn der Fahrer ist: 180 km/h. Autofahren ist ein schönes Motiv in deutschen Fotoalben. Landschaftliche Schönheiten an grotesk die Landschaft zerstörenden Autobahnen festgehalten, mit der rechten Hand das Lenkrad, mit der Linken den Fotoapparat gehalten und mit der dritten Hand den Schritt der Beifahrerin getätschelt... so sehen diese Fotos auch aus. Und auf allen ist der Tacho des Kraftwagens zu sehen, der schnell ist.

Wie gerne läßt sich der Deutsche an Denkmälern fotografieren; vor allem an denen für Bismarck oder Viktor von Scheffel.

Die Deutschen schieben bei der Besichtigung toter musealer Altstädte ihre Bäuche und ihre billigen koreanischen Digitalkameras vor sich her. Die Kameras sind nach zwei Jahren schrottwert; die Bäuche waren teuer. Das ist Kulturlandschaft Deutschland.Oder sie fotografieren die runden Hintern alternder Männer, die Bierkästen unter den Tischen von Wohnmobilen suchen; Klapptischen wohlgemerkt. Wenn der Deutsche etwas Asiatisches fotografieren möchte, geht er in den botanischen Garten und fotografiert dort eine der herumstehenden Schülerinnen, deren Jeans ihm sehr japanisch vorkommen. Oft schwafeln diese Fototouristen dann von Haikus und Sencha und kriegen nach zehn Minuten mißglückter Fotografie dann eine verdiente Ohrfeige. Die Modells sehen aus, als wären sie Contergankinder, weil die Fotografen zu dumm waren sie angemessen zu fotografieren.

Wenn der Deutsche eine Landschaft fotografiert, sind Reklametafeln oder Windräder immer mit drauf. Oder scheissende Hunde. Oder Autos ohne Ende. Wir haben heute den unterhaltsamen Typus des Digitalkameratrendidioten. Er kauft sich alle halbe Jahre ein paar Megapixel dazu. Er war mal in der Regel mittelalt. Er war mal Besitzer einer anständigen Fotoausrüstung. Er verliert den Verstand und kopiert seine gesamte Diasammlung auf CD. Dias haben eine hohe Lebensdauer von circa 200 Jahren. Für CDs sagt selbst die Reklameabteilung des Herstellers maximal 15 Jahre Haltbarkeit voraus. Bei idealen Luft- und Lichtbedingungen. Die meisten CDs werden aber irgendwo lieblos in eine Ecke geworfen und altern dort innerhalb von 2 Jahren bis zur Unbrauchbarkeit. Weshalb kopiert der Digitalkameratrendidiot seine Dias auf CD und wirft die Originale in den Müll?

Die digitale Technik ermöglicht es, Datum und Uhrzeit direkt in die Schmerbäuche der Abgebildeten zu kopieren, und zwar in vielen Farben. Das ist ihr eigentlicher Wert. Bei analogen Kameras war das Datum meist rot. Das ist ein Fortschritt. Man kann sich in einem Kaff vor das Rathaus stellen und die häßlichen Betonmasten davor hinfortdigitalisieren. Kunst ist das nicht, sondern Mist, unergründlicher Müll; Geschichtsfälschung auf dem Niveau schlechtesten Geschmackes.

Die Bilder anderer Leute anzuschauen wirft vor allem eine Frage auf: weshalb muß jeder Deutsche unbedingt eine Urlaubsreise an das Nordkap unternehmen, so wie jeder Muslim irgendwann mal nach Mekka pilgern sollte? Beide Reisen sind entbehrungsfrei, weil sie mit vollgestopften Bussen oder vollgestopften Campingmobilen stattfinden. Und beide sind völlig sinnlos – wie es in Mekka aussieht, weiß ich nicht. Aber am Nordkap sieht es aus wie in Alfeld. Die Reise kann man sich getrost ersparen. Und seinen Nachkommen, die dort entstandenen Bilder wegwerfen zu müssen.

Die Toskana sieht mittlerweile auch so aus, daß Besuche getrost unterbleiben können – Hochspannungsleitungen und die Landschaft ist mit Windkraftwerken zerstört. Reisebilder zeigen, weshalb man besser zuhause bleiben sollte.

Weshalb fotografieren die Leute ihre schäbigen Wohnmobile bei jeder Gelegenheit? Es scheint, als würden die Reisen nur gemacht, damit die liebevoll „Womo“ genannten Scheußlichkeiten auf jedem Rastplatz, an jeder Tanke und an jeder Hafenanlage abgebildet werden können, am besten mit einem Schild „Hafenanlage“ drauf, weil man sonst vor lauter Womo gar nicht sehen kann, wo das Bild gemacht wurde. Oder das Womo vor phallisch aufragenden Kirchtürmen – es lebe die Kraft und die Herrlichkeit des Patriarchats. Kein Womo-Bild, wo nicht eine Katze drauf zu sehen ist. Oder ein aufblasbarer Gartenzwerg und ein Faltgartenzaun. Ach wie niedlich. Kein Womo-Bild, wo nicht noch ein streunender Hund zu sehen ist. Die arme geknechtete Kreatur, sagen die Womo-Fahrer, wenn sie ihre scheußlichen Bilder zu Hause vorführen und die ganze Verwandschaft mit digitalen Bilderserien per E-mail traktieren, damit alle, die nicht dabei sein mußten, einen Beigeschmack von der Sinnlosigkeit solcher Womo-Reisen erahnen können. "Das hier ist das Womo bei Sonnenuntergang am Skagerak" ist eine Bemerkung, die man nicht unbeantwortet lassen darf, will man keine Aufgabe einer langen Bekanntschaft riskieren. Die Antwort muss mindestensfalls lauten "Ach wie gerne wäre ich auch dort gewesen. Es muss bonfortionös dort sein."

Warum werden in jeder Stadt, in der man sich gastweise aufhält, gruselige Trachtenkapellen und ukrainische Sozialhilfempfänger mit Akkordeonen in der Fußgängerzone fotografiert? Warum fotografiert jemand seine Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit so, als säße sie auf einem Krankenhaustöpfchen? Oder bei einer Kreuzfahrt 81 Mal das leere Meer? Warum haben Fotografierte so oft die Augen geschlossen – ahnen sie bereits, wie sie auf den Bildern aussehen werden und wollen sie vorausschauend gar nicht sehen?

Und warum fotografieren die Leute unentwegt Blumen? Blumen sind, neben Frauen, das Schönste auf der Welt. Auf den Fotos sieht man von beider Schönheit wenig. Blumen werden gerne wie gefesselte Menschen fotografiert. Am liebsten auf Blumenbänken gefoltert abgebildet. Oder in Vasen, kurz vor dem Verdursten nochmal festgehalten, bevor sie sterben.

Bilder von romantischen Gassen sind gerne so unterbelichtet, daß überhaupt nichts mehr auf ihnen zu sehen ist. Das ist die wahre Romantik der Fotografierautomatiken: drückt man auf "Romantik", wird alles so düster, daß nichts mehr zu sehen ist, und die Techniker von Canon haben es sogar geschafft, Mondlicht elektronisch zu simulieren. Egal, was man fotografiert. "Komm Spielen". Wirklich liebenswert sind die Versuche, die flüchtigen Bilder des Verdummungsfernsehens zu fotografieren - keine der von mir gesehenen Sammlungen war frei von der Idee, den laufenden Fernsehschwachsinn irgendwie konservieren zu wollen.

Traurige Perspektive für Hirn und Ästhetik.

Wenn man Menschen betrachtet, die auf diesen Bildern an irgendwelchen Urlaubsorten herumlungern, dann bemühen sie sich oft, wie auf Urlaubspostkarten auszusehen. Sie sind also entweder mit offenen Mündern vor Kirchen zu sehen, oder sie blättern in Reiseführern. Oder sie stellen ihre Alabasterleiber der Sonne und dem Fotografen zur Verfügung, damit der die ganze Verwandschaft mit Powerpointpräsentationen von Tante Ute und ihrem Sohn tyrannisiert: "Sieh mal, das ist Tante in Bad Gastein. Und hier in Bad Salzuflen. Ich hab hier noch 180 pics mit Tante in Bad Salzschlirf. Die zeig ich euch auch gleich noch. Ich muss nur mal schnell die Lampe wechseln"

Gerne werden auch Sonnenuntergänge gezeigt, am liebsten auf Panoramafotos, die schlecht geschnitten sind, so daß der Eindruck entsteht, die Sonne drehe sich gleich um mehrere Erden. Und Datumseinbelichtungen gehören unbedingt auf Sonnenuntergänge; ebenso wie auf private Schmuddelfotos. Sonnenuntergang am 27. September 1997 um 21 Uhr 52 29 Sekunden. Anschließend Schamhaarbeschau bis 23 Uhr. Damals gab es noch keine digitale Fotografie, die es ermöglicht hätte, per GPS noch den genauen Standort der Ereignisse zu notieren.

Weshalb halten Menschen die Ödnis ihres Lebens auf Filmaterial fest? Warum fotografieren sie?

Mit der Digitalfotografie ist das Elend nur schlimmer geworden. Im Grunde ist die Digitalfotografie aber genau das, was sich Oskar Barnack als Lebensziel gewünscht hat, als er die Leica erfand: jedermann kann sein Leben in allen Situationen mit einer kleinen preiswerten Kamera fotografieren. Barnack ahnte allerdings nicht, wie trostlos diese Bilder werden würden, wenn die Fotografie der Masse in die Hand gegeben wird. Von daher hätte man es besser bei Großbildkameras belassen, die 30kg schwer sind und Kenntnisse und Verstand erfordern.

Wenn der Kamerabesitzer in Urlaub fährt, dann fotografiert er keine kackenden Hunde, wie zu Hause, sondern strassenpassierende Rentiere. Er ist im Urlaub. Er fotografiert Straßenschilder, weil ihm das Wort "Pelletsfabrik" auf dem Weg zum Nordkap so exotisch erscheint. Knipst den Wegweiser zur Pelletsfabrik, und sagt das Wort 800 km lange Fahrt lang vor sich hin. Pelletsfabrik. Vor der Pelletsfabrik steht ein buntbemalter Bus eines Berliner Asozialenprojekts. Die Nachbarschaft gibt beiden etwas Exotisches, was sie fotografierenswert macht. Und jedes am Wegesrande äsende Rentier wird fotografiert.Ortsnamen wie Överkalix oder Korpilobombolo werden fotografiert. Noch 45km bis Korpilobombolo. Das ist Exotik für den Deutschen, deren Anmutungsqualität über den Verzehr von Dosenananas hinausgeht. Nur 25cm bis Dosenananas. Das ist nicht exotisch, sondern der Alltag in Deutschland, dem Land in der Dose. Ist man im Ausland, wird jede Horde von Joggern als ausländisches Kulturgut fotografiert. Man kann dann CDs mit den Bildern dieser Jogger verschicken und behaupten, im Ausland sei alles besser, vor allem die Gesundheit. Man selbst würde auch so gerne joggen, aber müsse immer die schwere Kamera dabei haben und könne sich deshalb nicht schneller bewegen. Aber fotografiert habe man alles. Im Ausland. Man fotografiert Autos, die vor einem her in der Schlange vor dem Stau fahren, weil sie breitärschiger sind als das eigene Auto: "Sieh mal da. Ein Volvo." Ein Volvo ist in Schweden so selten wie ein Golf in Deutschland. Aber nur 2000km vom Polarkreis entfernt erscheint er wie ein Exot. Ebenso wie die Rentiere, die als landestypische Plage gelten. Ebenso wie die deutschen Touristen, die vor allem deshalb angereist kommen, damit sie einsame Landstraßen mit kotenden Rentieren fotografieren können. "Ach wie malerisch ist das hier." Nicht nur Rentiere sind eine Plage. Touristen auch. Jeder Zebrastreifen ist fotografierenswert, nur weil er nicht in Alfeld/Leine, sondern in Suomi auf den platten Asphalt gemalt wurde. Umgekeht ist ganz Alfeld voll von Touristen vom Polarkreis, die die Alfelder Zebrastreifen fotografieren. Über das Internet werden Bildertauschfreundschaften geschlossen zwischen Alfeld und Suomi.  Jedes umgeknickte Blechschild ist fotografierenswert, nur weil es am Nordpolarkreis steht. Reisen nach Inari und Anar, Reisen auf trostlose Parkplätze. 6000km lange Fahrt, um mit dem Wohnmobil zu Füßen einer häßlichen Stahlbetonbrücke schlafen zu dürfen; für 24 Euro pro Nacht. Duschbenutzung exklusive. Digitalfotografie ist ein Kind der Moderne. Sie kommt vorgeblich kostenlos daher und hat in Wirklichkeit einen extrem hohen Preis. Sie kostet Geschichtslosigkeit. Sie fördert Geschichtsfälschung. Sie hat gesellschaftliche Folgekosten ohne Ende. Gerade weil das einzelne Bild überhaupt nichts mehr kostet.

Die Urlaubsfotografie beschert uns Ansichten leergeräumter Berge; zubetonierter Schweiz. Die Schaf-Herde stapft auf solchen Fotos durch die Landschaft, in einer Reihe. Sehr deutsch. Immer schön rechts gehen quer durch die Landschaftsbilder. Merkwürdige Gestalten, die durch Blätter verdeckt werden; dumpfe Gesichter im Gegenlicht, gerne neben Papierkörben abgebildet. Ob der deutsche Geist in einem Papierkorb wohnt?

Auf den Urlaubsfotos finden sich gerne irgendwelche Produkte von Telefunken. Schlechte Fernseher, schlechte Plattenspieler und gerne häßliche Gebäude, die von Hannover bis Berlin alle gleich ausssehen und als „Telefunken-Haus“, „Telefunken-Hochhaus“ oder „Telefunken-Kaserne“ in den Volksmund eingingen.  Man findet auf privaten Fotos noch trostloseres als Telefunken: merkwürdige Gewächshäuser, inmitten von Stahlbetonbrücken, leere Gesichter. Betonierte Kanäle. Bilder, wo nicht einmal mehr der Fotograph weiß, was er fotografieren wollte und zur puren Fotografierautomatik verkommen ist. Hinterteile, geschmückt mit dicken Anoraks. Leere sogenannte Landschaften, in denen ein paar fragwürdige Gestalten verstreut sind. Essende, bei denen es fraglich ist, ob sie die welken Salatblätter auf ihrem Teller essen wollen oder das trostlose Straßenbegleitgrün im Hintergrund. Gartenlaubenidyllen mit schlummernden potentiellen Amokläufern wegen Nachbarschaftsstreit. Altstädte, die durch Kaufhausneubauten und Macs aller Art ruiniert wurden. Trostloseres als Budapest mit seinen Betonmasten überall. Sehenswürdigkeiten, die von Autos verschandelt werden. Telegrafendrähte auf jedem zweiten zweifelhaften Bild.  

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Der Eintritt zu den Veranstaltungen "Der Deutsche Dia-Abend" sowie zu unseren Dia-Karaoke-Veranstaltungen der Galerie für Kulturkommunikation ist frei. Schnittchen müssen mitgebracht werden. Es gilt das Toleranzprinzip: alle Schreibweisen und Varianten des Wortes "Photographie" sind zugelassen zum freizügigen Gebrauch.

Der Dia-Abend ist das Tummelfeld der Kleinbürger; der optische Ausdruck einer Gesellschaft, die in der Idee einer „bürgerlichen Mitte“ zur Leblosigkeit erstarrt ist, und die von Parteien regiert wird, die genau diese bürgerliche Mitte kaputt macht durch ihre Steuer- und Abgabenpolitik. Der Dia-Abend ist eine kleine Flucht in die Idylle, die von wertvollen Ratgebern erhellt wird wie „So machen Sie mehr aus Ihrem Diaabend. Zwei Expertinnen geben Tips gegen Langeweile“ im „Fotomagazin“ Heft 12, 1994, S. 64-65. Der Kleinbürger ist stets Objekt satirischer Zeichnung gewesen, erst kürzlich auf einer Berliner Ausstellung von Sigmar Polke mit dem Titel „Wir Kleinbürger!“. Von Dia-Abenden war aber nur selten die Rede.

Zur Verortung des Kleinbürgers in der Welt der Künste eine Auswahl:

Der Kleinbürger in der Photographie, Film und Malerei

 Staudte, Wolfgang: Herrenpartie. Mit Götz George u.a. ARD 1963

Praunheim, Rosa von: Die Bettwurst. Mit Luzi Kryn. ZDF 1971

Benoit, Jacquot: Die Schule des Begehrens. Mit Isabelle Huppert. 1998

Bill Wood’s business. New York, 15. Mai bis 7. September 2008 [Ausstellungskatalog]

Poth, Chlodwig: Poth für die Welt. Sossenheim ist überall. München 2005

Goodhew, Philip: Bed and breakfast. Die Miete zahlt der Tod.  Mit Paragon 1995

Wieland, Ute: Im Jahr der Schildkröte. WDR 1987

Der Kleinbürger in der Literatur

Hauptmann, Gerhart: Die Ratten. Text der Centenar-Ausgabe. 38. Aufl. . – München 2008

Elsner, Gisela: Heilig Blut. Berlin 2007

Gronius, Jörg W.: Der Junior. Bonn 2005

Dabit, Eugène: Villa Oasis ou Les faux bourgeois. Paris 1998

Balzac, Honoré de : Die Menschliche Komödie Band 28 : Die Kleinbürger. Zürich 1998

Kempowski, Walter: Tadellöser und Wolf. Augsburg 2004

Fleisser, Marieluise: Ingolstädter Stücke. Frankfurt a.M. 2004

Updike, John: Unter dem Astronautenmod. Reinbek 2004

Spielmann, Götz: Der Nachbar. Wien 2006

Lustiger, Gila: Aus einer schönen Welt. Berlin 2006

Graf, Oskar Maria: Anton Sittinger. München 1994

Canetti, Veza: Der Oger. Frankfurt a.M. 1993

Andersen, Vita: Welche Hand willst Du? Frankfurt a.M. 1993

Laine, Pascal: Das Abschiedsdiner. Berlin 1993

Blasinski, Marianne: (M)eines braven Vaters Geschichte. Metzingen 1992

Oliveira, Carlos de: Kleinbürger. Freiburg 1991

Székely, János: Der arme Swoboda. München 2006

Kempowski, Walter: Uns geht’s ja noch gold. München 2006

Golz, Manuela: Ferien bei den Hottentotten. Berlin 2006

Morante, Elsa: La storia. München 2005

Capus, Alex: Mein Studium ferner Welten. München 2003

Böll, Heinrich: Das Brot der frühen Jahre. Köln 2003

Green, Julien: Adrienne Mesurat. München 2002

Gronius, Jörg W.: Ein Stück Malheur. Frankfurt a. M. 2001

Berkéwicz, Ulla: Engel sind schwarz und weiss. Frankfurt a. M. 2001

Sánchez, Clara: Letzte Notizen aus dem Paradies. Bern 2001

Elsner, Gisela: Die Riesenzwerge. Berlin 2001

Yang, Kwi-ja: Die Leute von Wonmidong. Bielefeld 2000

Glavinic, Thomas: Herr Susi. Berlin 2000

Kesten, Hermann: Josef sucht die Freiheit. Göttingen 1999

Grothusen, Karin: Endlich ein Brief von Moses. München 1999

Moeyaert, Bart: Afrika hinter dem Zaun. Hamburg 1999

Sautet, Claude: Einige Tage mit mir. o. O. 1998

Klement, Robert: Sieben Tage im Februar. Wien 1988

Kempowski, Walter: Schöne Aussicht. München 1997

Gorki, Maxim: Kleinbürger. Frankfurt a.M. 1981

Lodemann, Jürgen. Der Solljunge. Göttingen 1997

Grass, Günter: Hundejahre. Göttingen 1997

Frank, Leonhard: Das Ochsenfurter Männerquartett. Berlin 1997

Grass, Günter: Danziger Trilogie. Göttingen 1996

Hauptmann, Gerhart: Der Biberpelz. Frankfurt a.M. 1995

Cerami, Vincenzo: Nur ein Kleinbürger. Reinbek 1980

Schneyder, Werner: Die Unternehmungen des Herrn Hans. Frankfurt a.M. 1978

Updike, John: Hasenherz. Reinbek 1994

Weinert, Erich: Helles Lied aus dem dunklen Hof. Berlin 1968

Bossinade, Johanna: Vom Kleinbürger zum Menschen. Die späten Dramen Ödön von Horváths. Bonn 1988

Der Kleinbürger in der Politik

Glaser, Hermann: Spießer-Ideologie. Von der Zerstörung des deutschen Geistes im 19. und 20. Jahrhundert. Freiburg 1964

Wachendorf, Helmut: Im Gängeviertel stand meines Vaters Wiege. Hamburg 1970

Enzensberger, Hans Magnus: wir Kleinbürger. Berlin 1976 (Kursbuch 45)

Leppert-Fögen, Annette: Die deklassierte Klasse. Frankfurt a. M 1974

Kocka, Jürgen: Bürger, Kleinbürger, Nation. Göttingen 1990

Haupt, Heinz-Gerhard: Bourgeois und Volk zugleich? Frankfurt a.M. 1978

Stein, Gerd: Kulturfiguren und Sozialcharaktere. Band 4: Philister, Kleinbürger, Spießer. Frankfurt a.M. 1985

Ridder, H.: Die Kleinbürger suchen das Licht. In: Das Argument 25.1983.137, 5-7

Herrmann, Ulrich, ed.: Das pädagogische Jahrhundert. Volksaufklärung und Erziehung zur Armut im 18. Jahrhundert in Deutschland. Weinheim 1981

Franke, Berthold: Die Kleinbürger. Frankfurt a.M. 1988

Crossick, Geoffrey: The petite bourgeoisie in Europe 1780-1914. London 1998

Hahn, Andreas: Zur Provinzialität der westdeutschen Gesellschaft. Bielefeld und anderswo. Bielefeld, Univ., Diss., 1996

Witzig, Ernst von: Da war’s um mich geschehen. Erinnerungen eines Hagestolz aus dem Basel des 19. Jahrhunderts. Basel 1994

Bausinger, Hermann: Wir Kleinbürger. Die Unterwanderung der Kultur. In: Zeitschrift für Volkskunde 90.1994.1, 1-11

Krier, Fréderic: Sozialismus für Kleinbürger. Pierre Joseph Proudhon. Wegbereiter des Dritten Reiches. Köln 2009

Haupt, Heinz-Gerhard: Die Kleinbürger. München 1998

Althaus, Thomas: Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte des begrenzten Bewusstseins. Tübingen 2001

Rüb, Wolfgang: Konzert für Stubenfliege und Orchester. Leipzig 2001

Satjukow, Silke: Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus. Leipzig 2004

Burger-Ringer, Herta: Drogerie zum Schwazen Hund. Wien 2005

Shieh, Shu-Mei: Kleinbürgerin und Kleinbürger im Drama um die Jahrhundertwende. Frankfurt a.M. 2003

Pintschovius, Joska: Die Diktatur der Kleinbürger. Berlin 2008

Schilling, Heinz: Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil. Frankfurt a.M. 2003